„Ein wirklich schöner Brunnen. Wie lange der hier wohl schon steht? Eine Jahreszahl, wie sonst üblich ist nicht eingeschlagen.“ Zwei Frauen im gesetzten Alter stehen vor einem Brunnen, der aus dem Zwölften Jahrhundert stammt. Dieser wiederum steht in einem kleinen und unscheinbaren Ort, in dem sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Er ist nicht einmal auf handelsüblichen Landkarten verzeichnet, dazu ist er zu klein. Seine Einwohnerzahl beträgt gerade mal dreihunderteinundsechzig.
Diese zwei Damen sind wie die meisten anderen Besucher dieses Ortes durch Zufall hierher gekommen. Sie verpassten eine Abfahrt und schon standen sie hier. Dies lag allerdings nur daran, dass die Gemeinde, die für den Schilderwald zuständig war, sich beharrlich weigerte, die Schilder für die Verkehrsregelung an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Ob diese allerdings bewusst, wie so mancher in diesem Ort behauptete, gemacht wurde, um Gäste anzulocken, kann im Grunde nicht genau nachvollzogen werden.
Jedenfalls profitieren die Geschäfte, derer es drei
in diesem Ort gibt, doch erheblich davon. Ihnen sollte es Recht sein, wenn die Gemeinde die Verkehrsregelung nicht verändern würde. Sie verdienen sich dadurch ein Zubrot.
Der Ort selber ist malerisch. Keine Erneuerungen zerstören das Landschaftsbild, was diesen Ort zu einem relativ schönen Ort, wenn man das alte liebt, macht. Die Gäste, wenn sie sich mal hierher verirrten, jedenfalls waren immer begeistert. Wie oft hatte schon einer der Gäste nachgefragt, warum denn hier keiner Werbung für diesen Ort machte. Aber die Gemeinde wollte dies nicht. Mit der Begründung, das würde dann zu viele Gäste anlocken, die eventuell auch für immer hier leben wollten. Und dann würden Beschaulichkeit und Ruhe in diesem Ort verschwinden. Was auch sicher von jedem verstanden wurde.
Kommen wir wieder auf diese zwei Gäste, Entschuldigung, Damen zurück. Sie konnten sich von diesem Brunnen nicht trennen. Immer wieder stiefelten sie um ihn herum und machten auf jede nur erdenkliche Art und Weise ihre Fotos.
„Ihr könntet auch mal wieder weitergehen.“
Eine Stimme von hellem Klang, fast schon wie eine Glocke, aber doch so leise, dass es nicht jeder hören konnte, ermahnte sie dazu weiterzugehen.
„Was hast du gesagt, Rosmarie?“ Edeltraut, so hieß die andere Dame, fragte danach, weil sie etwas gehört hatte, es aber nicht genau definieren konnte.
„Ich habe überhaupt nichts gesagt. Ich schaue mir nur den Brunnen an, und bin dermaßen sprachlos über dieses Gebilde.“
„Aber sicher hast du etwas gesagt. Ich habe dich doch sprechen gehört. Und sage nicht wieder, ich werde senil. Denn das stimmt nicht.“ Ihre Stimme klang energisch und hob sich etwas an. Schon zu oft hatte Rosmarie zu ihr gesagt: „Du wirst schon langsam senil.“ Denn sie hörte nicht immer alles. Natürlich wie bei den meisten Menschen. Wenn sie nichts hören wollen, dann hören sie nichts. Aber das, was sie hören wollen, das hören sie.
„Ich habe gerade gesagt, dass ich nichts gesagt habe. Und deshalb brauchst du noch lange nicht
deine Stimme zu erheben.“ Auch sie wurde etwas energisch. Aber man sollte sich nichts daraus machen. So waren die beide schon immer zueinander. Im Grunde ihres Herzens liebten sie sich. Ja, sie liebten sich wirklich. Denn sie waren, wie man so allgemein sagt, Gebetsschwestern. Sie waren, so würde die heutige Jugend es ausdrücken, lesbisch. Und sie standen dazu.
Edeltraut brummte wie immer noch etwas in ihren leichten Flaum, aber nur so laut, wie sie es selber hören konnte. Sie wollte die gestrenge Situation nicht noch weiter anschüren. Aber brummeln musste sie trotzdem noch. „Und doch hast du etwas gesagt.“
„Nein, sie sagte nichts. Ich habe etwas gesagt.“
Der Schreck fuhr ihr in die Glieder. Sie drehte sich ein paar Mal um die eigene Achse und suchte denjenigen, der dies zu ihr sagte. Diesmal hatte sie jedes Wort verstanden. Auch war ihr klar geworden, dies kam nicht von ihrer Freundin. In ihrem Körper machte sich Angst breit. Angst, weil sie niemanden um sich herum sah.
„Hast du dies jetzt auch gehört?“ Voller Angst und kleinlaut zupfte sie am Ärmel der Freundin. Doch diese antwortete nicht, sondern schüttelte nur den Kopf und dachte sich ihren Teil. Sie hatte wirklich nichts gehört. Doch das lag nur daran, weil sie viel zu beschäftigt mit dem Brunnen war. Und konnte sich noch nie auf zwei Sachen gleichzeitig konzentrieren. Nein, sie hatte nichts gehört. Wieder schüttelte sie nur den Kopf. Ihre Freundin indessen zupfte weiter an ihrem Ärmel.
„Lass uns schnell von hier verschwinden. Mir ist nicht ganz geheuer bei der Sache.“ Und damit zog Rosmarie ihre Freundin von diesem Brunnen weg. Doch Edeltraut hatte eigentlich noch keine Lust schon wieder zu gehen. Sie wollte am liebsten noch eine ganze Weile hier bleiben. Sie fühlte sich wohl in der Nähe des Brunnens. Doch um des lieben Friedens willen gab sie ihrer Freundin nach und folgte.
„Das wurde aber auch Zeit.“ Wieder hörte Rosmarie nur eine Stimme. Zu sehen war allerdings niemand.
Die Einwohner dieses Ortes wussten von den
seltsamen Begebenheiten des Brunnens. Keiner von ihnen verweilte längere Zeit an diesem Ort. Im Gegenteil. Die meisten mieden den Ort. Doch was sich letztendlich dort abspielte, wussten die Einwohner auch nicht so genau. Im Gegenteil, sie wollten es nicht wissen. Und beließen es dabei.
Und wieder passierte es, dass Menschen die Abzweigung verpassten und in diesem kleinen Ort landeten. Diesmal war es gleich eine ganze Gruppe in einem Reisebus. Man sollte meinen, ein Busfahrer würde sich vor Antritt der Fahrt richtig über die Reiseroute informieren. Doch dies schien nicht bei allen Fahrern so zu sein. Oder vielleicht war es ja auch Absicht von diesem Fahrer gewesen. Vielleicht wollte er den Einwohnern ein kleines Zubrot bringen, an dem er eventuell auch etwas verdiente.
Jedenfalls sei es wie es will, die Gäste landeten hier. Mitten im Ort hatte der Fahrer angehalten, natürlich genau vor dem einzigen Gasthof, den es hier gab. Und wie der Zufall auch noch mitspielte, war es gerade Mittagszeit. Die meisten der Gäste ließen sich nicht zweimal bitten und betraten den Gasthof. Er war gemütlich, um nicht zu sagen
gediegen eingerichtet und lud regelrecht zum Verweilen ein.
Ein paar andere Gäste machten sich nichts aus einem Essen, sondern erkundeten die nähere Landschaft. Drei der Gäste, sehr junge Kerle machten sich in Richtung des Brunnens auf. Sie hatten ihn bei der Ankunft sogleich bemerkt und auf irgendeine Weise zog sie dieser Brunnen magisch an.
Schon von weitem sahen sie, wie es sich ein Mädchen, dessen Schönheit sie schier blendete, auf diesen Brunnen bequem gemacht hatte. Sie saß mit dem Rücken zu der Öffnung und ließ die Beine vornüber baumeln. Dem Aussehen zu urteilen, war sie nicht älter als Zweiundzwanzig. Die jungen Burschen beschleunigten ihre Schritte und liefen mehr, als sie gingen.
Der jüngste der Dreien, er war gerade erst achtzehn, kam als erster dort an. Mit einem freundlichen „Hallo!“ begrüßte er die holde Maid. Sie lächelte ihn mit einem Charme an, dass ihm fast die Sinne schwanden. Ihm wurde siedend heiß in seiner luftigen Kluft. Die Außentemperatur in
diesem Ort war vielleicht zwanzig oder einundzwanzig Grad, aber alle drei standen jetzt um das Mädchen herum und fingen an zu schwitzen. Sie konnten sich nicht erklären, was die Ursache für dieses Schweißtreiben war, aber der Anblick dieses Mädchens entschädigte alles.
Sie standen herum und keiner der Junggesellen traute sich ein Gespräch anzufangen. unentwegt starrten sie auf die Schönheit. Sie schien sich dabei wohl zu fühlen. Unbeirrt lächelte sie jeden der Reihe nach an.
Nach einer Begutachtung von etwa einer Viertel Stunde, fasste sich der Jüngste ein Herz und fragte sie nach ihrem Namen. „Jasmina“, gab sie in einer so zarten Stimme von sich, die bei den dreien das Herz schmelzen ließ.
Langsam tauten alle drei auf und flirteten mit der Schönheit, was das Zeug hielt. “Jochen, ich heiße Jochen.“ Der jüngste war auch der mutigste von allen. Doch die anderen wollten dem nicht nachstehen, und nannten der Reihe nach Ihren Namen. „Klaus.“ Mehr schüchtern als mutig brachte der älteste seine Worte hervor. „Und ich
bin Rudi.“ Bemerkte der letzte in der Gruppe. Ihr merkte man an, sie hatte sich auf Jochen eingestellt, doch letztendlich konnte es jeder sein. Der schien ihr am besten zu gefallen. Zu ihm war sie besonders freundlich. Nicht, dass sie zu den anderen nicht auch freundlich war, aber einen Tick mehr bei Jochen.
Nachdem die andern zwei bemerkt hatten, sie hatten keine Chance bei der Dame, verabschiedeten sie sich in aller Höflichkeit von ihr und gingen ihrer Wege. Nicht so Jochen. Er war nach wie vor Feuer und Flamme. Er wollte sich nicht von ihr trennen. Und dies gefiel Jasmina auch. Mit Augen und Gesten forderte sie ihn auf, mehr aus sich herauszugehen. Sie fesselte ihn regelrecht an sich. Doch nach einer Weile bekam Jochen Hunger. Darum versuchte er sie dazu zu überreden, mit ihm etwas essen zu gehen. Doch all sein Flehen und Betteln brachte nichts ein. Jasmina blieb standhaft, versprach aber, am Abend wieder für ihn da zu sein.
„Ich weiß aber noch gar nicht, ob wir hier übernachten oder ob wir nachher wieder weiterfahren. Also kann ich dir nicht versprechen,
heute Abend wieder hierher zu kommen.“
„Du wirst kommen, das weiß ich", säuselte sie in einem Ton, wie er so etwas noch nie gehört hatte. Sie hatte es wirklich drauf, einen Bann zu fesseln, aus dem es kein Entrinnen gab.
Jochen gab seinem Magen nach und verabschiedete sich von ihr. Jasmina winkte ihm noch eine Weile zu. Als er sich dann wieder nach ihr umschaute, war sie verschwunden. Er suchte mit seinen Augen die Gegend ab, doch er konnte sie nirgends entdecken. Irgendwie war ihm das nicht ganz geheuer. Doch als er sich im Geiste das Gesicht von ihr vorstellte, waren alle Bedenken verschwunden.
Im Gasthof traf er wieder auf seine Freunde. „Na, Erfolg gehabt?“ fragte einer der beiden. Doch Jochen winkte ab. Er wollte nichts dazu sagen. Im Inneren war für ihn schon klar, er wollte mehr mit Jasmina anfangen, als ihm selber eigentlich lieb war. Doch dies teilte er nicht seinen Freunden mit.
Vielen Dank für das Lesen dieser Probe, sie sind am Ende der Leseprobe angelangt.
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